Meine schwedischen Kolleg:innen erreicht man aktuell nicht so einfach. Schweden ist in der Sommerpause. Alle Arbeitnehmer:innen haben Anspruch auf vier zusammenhängende Wochen Urlaub zwischen Juni und August. (1) Und die meisten nutzen diese Möglichkeit - um das schöne Wetter zu genießen, sich zu erholen, Zeit mit der Familie zu verbringen. Ich finde: Wie bei den Themen Gleichberechtigung und Digitalisierung (2) machen die Schweden auch hier einiges richtig.
Für mich bedeutet die schwedische Sommerpause aber umgekehrt eine “Schwedenpause” – auch mal ganz gut. Es ist ruhiger auf Slack, es gibt weniger virtuelle Meetings (und To Do’s) und ich gewinne wertvolle Zeit für einen kurzen Blick zurück, bevor es nahtlos in den stürmischen Herbst geht.
Raus aus den Silos
Es ist fast ein Jahr her, dass wir mit Platform24 in Deutschland gestartet sind (note to self: Einjähriges planen!!!). Mehr oder weniger im Gleichschritt mit den ersten Ausschreibungen für die KHZG-geförderten Patientenportale, die – strategisch aufgesetzt – eine digitale Kernmaßnahme bilden können, um Versorgung und Ressourceneinsatz in deutschen Krankenhäusern zu optimieren.
Die Reise seitdem ist intensiv und spannend. Unser deutsches Team ist schnell gewachsen und ich bin stolz darauf und dankbar dafür, mit großartigen Köpfen der Gesundheits- und Digital-Branche an der Vision einer gelebten, digital integrierten Gesundheitsversorgung arbeiten zu dürfen. Gemeinsam haben wir erste Kund:innen im Krankenhaussektor für unsere digitales Patientenportal gewonnen. Und spannendes Potential für unsere Software in anderen Segmenten jenseits der Leistungserbringer identifiziert. Meiner Überzeugung folgend, dass uns Silo-Denken im deutschen Gesundheitssystem keinen Schritt voranbringen wird, sind wir wichtige strategische Partnerschaften eingegangen. Denn als Anbieter sehen wir uns in der Verantwortung, Kompetenzen in einem Ökosystem zu bündeln, um Digitalisierung insbesondere für Krankenhäuser in einem komplexen Umfeld einfach zu machen. Wir waren auf Events wie der DMEA unterwegs, um aktiv den Austausch mit KIS-Herstellern und IT-Verantwortlichen zu suchen – und um Lösungen zu finden für die Hürden, die der digitalen Gesundheitsversorgung noch so oft im Wege stehen.
Überrollt von der Realität
Was sich in diesen und vielen anderen Gesprächen immer wieder gezeigt hat: Die Realität hinkt der Gesetzgebung einerseits hinterher, andererseits überholt sie sie. So ist beispielsweise die Krankenhaus-IT nicht bereit für die im Eiltempo geforderte Umsetzung der im KHZG definierten Maßnahmen, insbesondere was die Schnittstellen im KIS betrifft. Andererseits sind zentrale Vorhaben wie das digitale Patientenportal für Krankenhäuser im Gesetz zu eng gedacht. Im Kampf um die Fördergelder geht es vielerorts primär um die Erfüllung theoretisch definierter Muss-Kriterien, statt um die strategische Planung einer digitalen Lösung, die langfristig Mehrwert und Praxisnutzen für Krankenhäuser und Kliniken stiftet.
Da braut sich was zusammen
Aktuell holt die Realität das deutsche Gesundheitssystem gnadenlos ein. Die Lage der Kolleg:innen in vielen deutschen Notaufnahmen ist prekär. Fast täglich lese ich Meldungen, dass Notaufnahmen überlastet sind, schließen müssen, das Personal an seiner Belastungsgrenze angekommen ist. So heißt es in der Süddeutschen Zeitung (3): “Die Covid-Inzidenz in München sinkt, dennoch klagen die Kliniken der Stadt über zunehmende Belastung, vor allem in den Notaufnahmen. Die Gründe dafür sind vielseitig – Corona ist nur einer davon.” Die Bayerische Krankenhausgesellschaft verweist in diesem Zusammenhang auf die zu dünne Personaldecke und die zu vielen Patient:innen, die aufgrund von Bagatellbehandlungen vorstellig werden.
Und auch bei den Kostenträgern sieht es nicht rosig aus. Ein Gesetz (4) soll erstmal die milliardenschweren Löcher der gesetzlichen Krankenkassen stopfen – bevor dann im nächsten Schritt die Versicherten höhere Beiträge zahlen müssen.
Doch um nicht nur die Negativ-Schlagzeilen zu bemühen: Wir erleben auf der anderen Seite auch, dass es unter den Playern im deutschen Gesundheitswesen ein wachsendes Bewusstsein dafür gibt, was digital möglich ist – und was viele Patient:innen und Kund:innen zunehmend erwarten: einfache, unkomplizierte, sichere, digitale Lösungen für ihre gesamte Gesundheitsversorgung.
Gesamthaft digital gedacht
Die Notwendigkeit zur Ressourcen- und Kostenentlastung und der Wunsch (bald vielleicht Druck) der Menschen, die unser Gesundheitssystem einfacher, besser und digitaler nutzen möchten, unterstreicht für mich erneut, dass wir Gesundheit nach dem Vorbild Schweden endlich gesamthaft statt in fragmentierten Strukturen denken müssen:
Was in dieser Form mit Blick auf die effektivere Nutzung klinischer Ressourcen möglich ist, zeigen unsere Erfahrungswerte aus Schweden:
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir jetzt und in den kommenden Jahren die Rahmenbedingungen richtig setzen, Silos aufbrechen und Gesundheit gesamthaft digital denken, ist es auch für das deutsche Gesundheitssystem möglich, mehr Zeit und Ressourcen zu gewinnen. Klingt fast so schön wie die schwedische Sommerpause. Den Fachkräften in deutschen Krankenhäusern zumindest wünscht man diese aktuell von Herzen.
Deutschland-Geschäftsführerin
Die Ärztin und Health-Tech-Gründerin vereint die Erfahrung aus beiden Welten und ist überzeugt: ein digital-integriertes Gesundheitssystem hat das Zeug, Versorgung für alle nachhaltig zu verbessern.